Martin Weltverkehrs-ImperatorIn
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Beitrag #15335 Erstellt: 19.03.2006 20:04
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in Anlehnung das gleichnamige erste Thema scheint mir dass die folgenden Zeilen in diesem Forum gut aufgehoben sind....zumal ich heute einmal bei der pfnurrenden-Kolben Sektion (s.U.) dabei war - mit allen Vor- und Nachteilen.
Auszug aus: H.v.Doderer, Die Dämonen, DTV 1995, Erstausgabe 1956, Kapitel 3 "IM OSTEN"
…... In diesen Jahren, um 1926 und 1927, begann überhaupt die Motorisierung breiter Schichten bereits fühlbar zu werden. Jene Motorisierung hatte sehr bald zur Folge, daß die Großstädte allsonntäglich, bei annehmbarem Wetter, gleichsam eine ringförmige Wolke von Fahrzeugen in die Landschaft ausstießen, welche Ausstoßung ihre gewissen Bahn-Elemente hat (ganz so wie analoge Vorgänge im Kosmos draußen), also auch eine bei solchem Anlasse regelmäßig wiederkehrende Anfangsgeschwindigkeit. Diese trägt gesetzmäßig - infolge des Fahren-Müssens, Vorbei-Müssens, pfnurrende Kolben Hören-Müssens, wobei das Ziel ein reiner Vorwand bleibt - zunächst einmal über eine Strecke hinaus, so daß schließlich ein ringförmiges Band von Leere um eine Großstadt liegt, jenseits dessen sich der Schwarm, dünner werdend, im offenen Lande verteilt. So kommt es, daß man heute, beispielsweise in großen Teilen des stadtnäheren Wiener-Waldes, einsame Sonntagsspaziergänge machen kann. Es ist nur notwendig, zurück zu bleiben: so, wie die Wälder immer mehr unbetreten zurückbleiben hinter den von Motoren dicht an ihnen vorbei befahrenen und berasten Straßen. Kein Spaziergänger stört mehr die Waldesnatur; denn jene auf der Straße‚ sie müssen dahin, es reißt sie fort. Die Wälder kehren zu sich selbst zurück, schon wird das Wild vertrauter. Es besteht die Möglichkeit, dies gelinde Zurückbleiben in verstattetem Maße von den Wäldern zu lernen: ohne Übertreibung und ohne jene sonderliche Betonung, welche zum Sonderling macht. Man bleibe ein wenig hinter dem Fortschritt zurück: man lasse die Hand vom Rundfunkgerät und das Aug' vom Zeitungspapier und von der Leinwand ; und man bleibe am Sonntag jenem Niemandsland um die Stadt, das nur morgens und abends die Lärmwelle der Ausfahrenden oder der Heimkehrenden durchbraust; man bleibe ein wenig hinter dem Fortschritt zurück - und im Nu wird man so einsam sein wie Herr Walter von Stolzing, wenn Haus und Hof ihm eingeschneit waren, beziehungsweise am stillen Herd zur Winterszeit. Den Fortschritt macht heute nicht Prometheus, der als Einsamer und Einziger das Feuer trug. Der Fortschritt ist ein Tausendfüßler geworden. Er wohnt heute in der Straße der Quantität, und dort auf allen Hausnummern zugleich; deren sind viele; jene Straße ist lang, wenn auch nicht unendlich. Einsam aber ist der gelinde und diskrete Zurückbleiber hinter dem Fortschritt. Er kann heute weitaus einsamer und abgesonderter sein als je einem mittelalterlichen Schloßherren möglich gewesen.
Und vielleicht ist Prometheus inzwischen schon wieder unvermerkt übersiedelt: und in einem leeren, stillen Ringe um die große Stadt ergeht sich eine neue und vorgeschrittene Rasse des Geistes, in zunächst noch wenigen Exemplaren, die aber dereinst über uns herrschen wird, und der, durch alle Benzindämpfe unserer Tage hindurch, die Zukunft gehört......
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manni Betreiber des Forums
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Beitrag #22735 Erstellt: 16.05.2007 23:59
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Seit dieser Text verfasst wurde, hat sich kaum etwas geändert: wer begnügt sich denn heute schon mit einem Waldspaziergang am Paschberg, wenn er ebenso gut brennenden Benzines unterm Hintern in die vermeintliche Abgeschiedenheit etwa des Isartals fahren kann, die eben deswegen schon lange keine mehr ist?
Was oben steht, hat Gültigkeit: alle fliegen am Sonntag aus, aber wenn man sich an diesen Tagen die meisten unserer stadtnahen Naherholungsgebiete ansieht, sind die dafür, dass ja alle 200.000 Menschen, die sich sonst in dieser Stadt aufhalten, irgendwo sein müssen (und in der Innenstadt sind sie an solchen Tagen nicht), ziemlich leer - einige Orte ausgenommen (Innstrände beim Flughafen, oder Lans/Lanser See/Igls etwa).
Interessant auch die Erkenntnis, dass beim Sonntagsausflug oft der Weg das Ziel sei - da ist was dran.
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