Budapest - ein Trauerspiel

[manni]

Bahnhof Kagran hat mir folgenden Bericht zukommen lassen, den ich in seinem Sinn gern veröffentliche.

Bahnhof Kagran schrieb:

Wie manchen bekannt ist, bin ich seit über 20 Jahren regelmäßig geschäftlich in Budapest, und muß nun miterleben, wie nach den ersten Jahren der Euphorie nach der Ostöffnung dieser an sich wunderschöne Betrieb sukzessive ruiniert wird. Neben krassen Fehlentscheidungen wie z.B. die Schließung des Betriebsbahnhofs an der Béci út wird seit Jahren in die Infrastruktur praktisch nichts mehr investiert, die Gleisanlagen verkommen in einem unglaublichen Ausmaß, Kreuzungs- und Weichenbereiche sind zu einem guten Teil in einem absolut inferioren Zustand und nur im Schritttempo zu befahren, und auch der Mittlere Ring, der vor nicht so langer Zeit komplett neu gebaut wurde, ist teilweise schon wieder derart heruntergefahren, dass es eine wahre Schande ist (z.B. Petöfi híd - Mester utca: 10 km/h, Weichenbereich vor Blaha Lujza tér: 5 (in Worten FÜNF) km/h. Gleiserneuerungen finden nach dem Gießkannenprinzip statt und schließen offensichtlich Kreuzungsplateaus von vornherein aus, um ja nicht die heilige Kuh Autofahrer zu verärgern (derzeit: Salgótárjani utca zwischen Fiumei út -entlang der Friedhofsmauer- bis etwa 300 m vor der Weiche vor dem Betriebsbahnhof Hungaria, bzw. Koloszvári utca nur zwischen Élessarok und der Weiche beim Örház), die Betriebsführung besonders bei Einschüben und Einziehern ist aufgrund der höchst ungünstigen Lage vieler Betriebsbahnhöfe geradezu abenteuerlich und kostet jeden Tag hunderte Leerkilometer und unproduktive Zeit. Die neueste Beobachtung sind fehlende Schienenverbinder auf der Petöfi híd (-Brücke), die dazu führen, dass es Lichtbögen zwischen den Stößen nicht nur unter Straßenbahnzügen gibt, sondern auch wenn es durch Belastung der Brücke zu einer Annäherung der Schienenenden kommt. Auch das wird als gegeben hingenommen und führt keineswegs zu sofortiger Reparatur. Vollkommen unverständlich werden dann "Zwergerllinien", wie der 28C, der derzeit am Abend mit zwei Zügen im angenäherten 15-Minuten-Intervall (Fahrpläne sind bestenfalls Anhaltspunkte) zwischen Blaha Lujza tér und Köbányiai út 21 (5 Haltestellen, 9 Minuten Fahrzeit) verkehrt, eine "Endstelle", die abends einen leeren Parkplatz und geschlossene Lagerhäuser bedient und nur durch Zurückfahren ins Gegengleis verlassen werden kann. Der 28A ist ohnehin auch auf dieser Strecke im regulären Intervall unterwegs, und wenn schon aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen eine Intervallverdichtung in dieser Relation notwendig ist, hätte wohl auch der Orczi tér (eine Station vorher) gereicht, und man hätte einfach im Bhf. Baross wenden können, als wie jetzt auf offener Strecke dem nachfolgenden 28A entgegenfahren zu müssen. Offensichtlich verschlingt der Prestigebau der M4, vor der alle Fachleute gewarnt haben, alle verfügbaren Mitteln für den ÖPNV in der Hauptstadt, so dass die Strassenbahn effektiv ausgehungert wird; von der dringend notwendigen Neubeschaffung an Fahrzeugen gar nicht zu reden, denn sowohl die Tatras als auch die Ganz-Gelenk-Tw haben ihre Lebensdauer schon längst erreicht. Letztere feiern am 4er und 6er wieder "fröhliche Urständ", denn wegen der Sperre der Salgótárjani utca können nicht alle Plan-Combinos aus dem Bhf. Hungaria ihre Stammstrecke auf dem gewohnten Weg erreichen, weswegen Ganz-Doppeltraktionen aus anderen Bahnhöfen einspringen müssen. Glücklicherweise dienen die Ex-Hannoveraner brav und ohne größere Störungen, die U-Bahn (Metro) ist dank der schier unverwüstlichen russischen Wagen, die auch schon zwischen 40 und 43 Jahre alt sind, der zuverlässigste Verkehrsträger. Bild 1 (535): 1432+1368 am 4er am Erszébeth körút (27.10.). Bild 2 (536): 1462+1311 am 6er, Blaha Lujza tér (28.10.). Bild 3 (537): 1463+1457 am 4er, auf der oben zitierten Weichenanlage Ecke Népszinház utca/Blaha Lujza tér, die nur mit Schrittgeschwindigkeit befahren werden darf. Die Fahrgäste in den Combinos, die immerhin zu den modernsten Strassenbahnfahrzeugen zählen, fühlen sich zu Recht gefrotzelt, wenn sie im Kriechgang in die Haltestelle hineinschleichen (28.10.). Bild 4 und 5 (538, 548): 4202+4203 und 4017+4000 auf 28C in der Népszinház utca (27.10.). Bild 6 (566): 4110+4071 am kurzen 37er (Èlessarok - Hidegkuti Stadion) verläßt in Kürze am falschen Gleis (bis Örház) Élessarok Richtung Hungaria körút (Hidegkuti -ex MTK-) Stadion (27.10.). Bild 7 (567): 4009+4008 am anderen Ende des 37ers: Nach einer Stehzeit von etwa zehn Minuten, die jenseits der Ringstraße eingehalten wird, fährt man zur Weiche "am Bergerl" neben dem Stadion. Die hier sichtbaren Weichen führen einerseits in den Bahnhofsvorkopf des Betriebsbahnhofs Hungaria, andererseits auf den Hungaria körút (Linie 1 und 1A). Bild 8 (568): der Zug fährt aufs Gegengleis (ganz hinten auf der Kuppe sieht man eine Gruppe von Arbeitern, bis dorthin wird das Gleis erneuert). Bild 9 (571): 4008 voran kommt dann einäugig in die Haltestelle, um die Fahrgäste Richtung Èlessarok aufzunehmen (die Brücke über die Bahn nach der 2. Haltestelle -Pongrác úti lakótelep- darf übrigens auch nur mit 10 km/h passiert werden, ist aber nicht Teil der Erneuerung), diese Aufnahmen vom 28.10.).

 

[Martin]

Bevor man sich ärgert ein Blick in die gute alte Zeit, die wahrscheinlich auch nicht so gut war: ca. 1958 (Photo: Luis Schönherr)